Offline verfügbar

Ein fremdes Land, drei Kumpels, ein VW-Bus mit nur zwei wirklichen Sitzplätzen und kein echtes Ziel. Acht Tage vor Weihnachten. An einem ungewohnt sonnigen Tag im Dezember 2017 finde ich mich gegen 13 Uhr mit einem Dosenbier in der Hand auf dem selbstgebauten Bett meiner nun fahrenden Übergangswohnung wieder und gucke zufrieden aus dem Fenster. Dosenbier - klar... Wissen ja alle, wie gerne ich sowas trinke. Aber hier ist eben einiges anders. Neben mir liegen Schlafsäcke, leicht miefende Bettdecken und zwei Surfboards. Dazu ein Reserverad, eine Kommode, ein Korb mit frischem Obst und Gemüse, mehrere 5-Liter-Wasserkanister und eine Hängepflanze, die bei der nächsten Bodenwelle von der Decke fliegt und neben meinem rechten Knie auf den Boden knallt. Ich wechsele besser vom ersten nicht legalen Platz zum nächsten und setze mich vorne in die Mitte – auf eine Plastikabdeckung für den Motorblock. Der alte VW LT hört auf den Namen „Ludo“ und macht seine Sache gut. Die Gänge sind irgendwie anders angeordnet als üblich und anstatt auf einen Drehzahlmesser guckt man auf eine riesige analoge Uhr. Stört aber nicht. Hier stört sowieso nicht viel. Weil es kein System gibt, das es einzuhalten gilt. Die Dinge so nehmen, wie sie kommen. Für mich als grundsätzlich strukturierter Mensch schon ungewohnt, aber nicht unangenehm. Herr Clown auf dem Beifahrersitz holt zu einem Witz aus: „Sitzen zwei Blinde auf ‘ner Parkbank, muss der Eine niesen, sagt der Andere – cool, mach mir auch mal n Bier auf!“ So unheimlich witzig finde ich das erst gar nicht. Dann muss ich etwas grinsen und danach doll lachen, weil die anderen beiden auch doll lachen. Sogar so doll, dass sich keiner wieder einkriegt und mein Bauch wehtut. Kam als Kind viel häufiger vor, fällt mir auf. Kurz danach steuern wir auf einen fuchtelnden Polizisten zu, der irgendeine Gefahrenstelle absichert und mir im Vorbeifahren mit Gesten deutlich macht, dass ich mich anzuschnallen habe. „Komm mach dich locker, ich hab nicht mal ne Rückenlehne“, grinse ich noch erschöpft vom Lachflash und nicke einfach freundlich.

Während der Fahrt kommt mir der Gedanke, dass es ein Trip zum Offlinegehen werden wird. Gerade so kurz vor Weihnachten. Konzentration aufs Wesentliche, einmal formatieren bitte. Zuhause sprinten alle bei miesem Wetter von der Arbeit zum Weihnachtsshopping, während ich im Süden Spaniens direkt an der Küste entlangfahre, lediglich einen Rucksack dabei habe und laut Songs von Herbert Grönemeyer singe. Von uns dreien bin ich wohl der Spießigste. Oder der, der am wenigsten alternativ ist. Etwas Körperpflege, erholsamer Schlaf und ne gute Portion Komfortzone darf es für mich schon sein, aber selbst mir fällt auf, wie befreiend es sein kann, mal ein paar Tage anders zu leben. Merkwürdiges Gefühl, tagsüber nicht eine einzige Sache auf dem Zettel zu haben. Der Faktor „Zeit“ bekommt hier eine ganz neue Bedeutung. Wir sind einfach da, tatsächlich irgendwie offline verfügbar. Sonnenaufgang, Sport am Strand, gesundes Müsli- Frühstück, Mittagspause solange wir wollen, Gespräche über absolute Belanglosigkeiten, kleine Challenges, Gaskocher-Abendessen und am Ende Karten spielen, weil in den stadtfernen Regionen, in denen wir uns aufhalten, während der Dunkelheit eh nichts mehr geht. In einer Großstadt sind wir im Laufe des Trips nur ein einziges Mal. Der Kontrast zu unserem aktuellen Lifestyle kann uns nicht besser aufgezeigt werden, als wir für ein Audiokabel einen Mediamarkt in einer Shoppingmall aufsuchen müssen und jeder von uns das Gefühl hat, einer absoluten Reizüberflutung ausgesetzt zu sein. Unzählige flackernde Fernseher, Blinklichter und nervige Geräusche, dazu schwer ertragbare Konsumluft. Wir finden das Kabel schließlich unter tausend anderen und müssen hier raus. Mediamarkt - wir sind doch nicht blöd.

Vielleicht hat Harald Juhnke Recht: „Meine Definition von Glück? Keine Termine und leicht einen sitzen!“ Naja, auf den Alkohol kommt es mir hier gar nicht so an, wobei die Sache mit dem Dosenbier immer witziger wird. Es geht ansonsten aber eher darum, das Handy mal nur zum Fotografieren und Musik hören zu benutzen. Und um die Erkenntnis, dass ein paar Tage ohne Gewohnheiten gar nicht so schlimm sind. Eine Woche ohne Badezimmer ist zwar komisch, ändert aber auch den Blick auf das für uns Selbstverständliche. Am Morgen kann eine Handvoll Wasser im Gesicht reichen, um ein erfrischtes Gefühl zu haben. Zähneputzen wird zum echten Wohlfühlerlebnis. Und als Toilette kommt eben nur der nächste Busch in Frage, auch egal. Selbst wenn man „Schere, Stein, Papier“ um den besten Schlafplatz verliert und die Suche nach einer bequemen Liegeposition zur Geduldsprobe wird, geht am nächsten Morgen die Sonne auf. Ich

muss allerdings zugeben, dass unkomfortable Dinge bei mir oft erst mit etwas Abstand an Wert gewinnen. Aus dem Alltag auszubrechen und sich mal auf etwas Ungewissheit einzulassen, ist in den jeweiligen Situationen herausfordernd und etwas unsicher. Auch während dieser Zeit ist nicht immer alles so, wie es auf den optimierten Fotos wirkt, aber wenn mich der Alltag einholt und ich nach einiger Zeit zurückblicke, werden diese Momente wirklich wertvoll. Daher sage ich im Scherz oft: „Es geht um Momente im Leben.“ Da ist was dran.

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Vamos Rafa!