Vamos Rafa!
Wer kennt Rafael Nadal? Jeder. Zumindest jeder, der sich auch nur ansatzweise für Sport interessiert. Und die, die ihn besser kennen, würden sich selbst die Boxershorts aus den Arschbacken ziehen und die Haare hinter die Ohren streichen, wenn sie ihn pantomimisch darstellen müssten. Nadal ist in allen Belangen eine feste Größe im Sportbusiness. Doch als großer Fan des erfolgreichsten Tennisspielers aller Zeiten, Roger Federer, ist es eigentlich unpassend, diesen Text mit Gedanken zu einem seiner größten Rivalen zu beginnen. Zumal Federer ebenso einen Text verdient hätte. Aber Nadal verkörpert etwas, das ich gerade dann sehr beeindruckend finde, wenn er mal nicht einen Titel nach dem anderen holt. Wir erinnern uns - vor einiger Zeit rutschte er in der Weltrangliste für seine Verhältnisse unendlich weit nach hinten. Aktuell steht er wieder auf Platz 1.
Ich bin selbst Sportler. Immer gewesen. Für mich ist es kaum vorstellbar, diesen inneren Bewegungsdrang nicht zu verspüren. Eine ernsthafte Verletzung wäre - natürlich nur im Verhältnis zu noch wichtigeren Dingen im Leben - das Schlimmste für mich. Ich muss raus. Laufen, sprinten, schießen, werfen, schlagen, jonglieren. Hochschuss, Rückwärtssalto, Flummi, Frisbee. Aber man kann den unsportlichen Menschen keinen Vorwurf machen. Der innere Drang ist entweder einfach da - oder eben nicht. Ein Musiker könnte wahrscheinlich auch nicht verstehen, warum manche Leute nicht in Versuchung kommen, einmal am Tag ein Instrument in die Hand zu nehmen. Und Nadal hat eben jeden Tag aufs Neue Lust auf knallharte Vorhandtopspins. Zumindest wirkt es so. Und genau darum geht’s hier: Wie es in seinem Trainingsalltag tatsächlich aussieht, weiß ich zwar nicht, aber in Fernsehmatches schafft er es IMMER, den Eindruck zu vermitteln, als werde er das jeweilige Spiel ganz sicher nicht verlieren. Komme was wolle. Von Resignation keine Spur. Spätestens wenn er bei einem Grand-Slam-Match stierkampfmäßig im Tunnel steht und darauf wartet, herausgerufen zu werden, um den Platz (übrigens immer zuerst mit dem rechten Fuß) zu betreten, kann er ein inneres Feuer entfachen, das er dann auch äußerlich weder verbergen kann noch will. Der Vergleich mit dem Stierkampf ist gar nicht so abwegig. Kritiker empfinden das ganze Gehabe auf dem Platz dann als „too much". Warum dürfen denn beim Seitenwechsel die Linien nicht betreten werden, warum muss immer der Gegner zuerst am Schiedsrichter vorbeigehen, warum müssen die Etiketten der beiden Flaschen haargenau in eine Richtung zeigen? Damit haben sich Sportpsychologen schon ausführlich beschäftigt. Und sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass man sich bei gewohnten, routinierten Abläufen gut fühlt und dass Nadal das Ganze für sich positiv nutzen kann. Er schafft sich selbst Konstanzen, auf die er sich verlassen kann. Ich find’s gut. Es zeigt, wie sehr er den ganzen Tenniszirkus lebt. Er polarisiert. Und polarisierenden Sportlern schaue ich am liebsten zu. Beim Fußball fallen mir spontan Cristiano Ronaldo und Zlatan Ibrahimovic ein. Beim Darts Michael van Gerwen, beim Snooker Ronnie O’Sullivan. Diese Typen sind zwar alle zu einem gewissen Teil selbstverliebt, aber auch so selbstbewusst, dass ihnen total egal ist, was über sie geschrieben wird. Und was sie alle vereint: Durch die mächtige innere Kraft und den besonderen Willen schaffen sie es, in engen Spielsituationen ihre beste Leistung abzurufen. Sie sind im Zweifel immer den entscheidenden Tick heißer auf den Sieg. Sie wollen es wirklich. Das ist imponierend, aber schwer nachzumachen. Auf die Frage, ob es einen Verteidiger gebe, den Ibrahimovic fürchte, antwortete er mal: „Nein. Denn wer mich stoppen will, muss mich umbringen." Fragen? Ich hätte eine. Was tun, wenn der innere Antrieb nicht mehr so groß ist wie er mal war?
Ist es nicht, bezogen auf die Sportart, immer wieder dasselbe? Oder zumindest das Gleiche? Aufschlag, Rückschlag, Ball holen. Anpfiff, 90 Minuten kicken, Abpfiff. Pfeil 1, Pfeil 2, Pfeil 3, Double Out, Ende. Glückwunsch, warst echt gut heute. Natürlich ist es nicht das Gleiche. Nie. Es passieren zwar immer ähnliche Dinge, aber jedes Spiel hat seinen eigenen Verlauf. Ich würde die leidenschaftlichsten Profis trotzdem gern mal fragen, wie sie sich immer wieder motivieren. Jeden Tag aufs Neue. Aber vielleicht können sie diese Frage gar nicht beantworten, weil sie sich nie
Gedanken darüber machen mussten. Weil das Feuer immer da ist. Quatsch - auch jeder Profi hat mal die Nase voll von seinem Sport. Wobei Nadal mal gesagt hat: „My motivation is the same, being number one or being number five. So that’s the truth. And my goal is the same - it’s always to be happy while playing tennis, it’s to enjoy the game and improve always." Stark. Aber auch logisch. Wenn er bei dem, was er tut, unglücklich ist, dann sollte er es lassen. Das gilt nicht nur im Sport. Wenn ein Spieler immer verliert, aber ohne Aussicht auf Verbesserung stumpf weitermacht, wird er dadurch nicht glücklicher. Es sei denn, er gewinnt plötzlich. Sport lebt von Ups & Downs und sollte in keine Richtung eine Einbahnstraße sein. Zu viele Siege sind langweilig, zu viele Niederlagen sind frustrierend. Auf dem Weg zum Glücksgefühl sind Erfolgserlebnisse notwendig. Langfristig sogar absolut notwendig. Es ist eine Kausalkette, die ohne Erfolg nicht funktioniert. Lust auf eine Sportart -> Training -> Wettkampf -> Sieg -> mehr Lust -> bessere Gegner -> Niederlage -> intensiveres Training -> Sieg -> gutes Gefühl. Profis können das so machen. Sie widmen ihre Zeit hauptsächlich ihrer Sportart. Amateure müssen Abstriche machen, da es in ihrem Leben andere Dinge ringsherum gibt. Da sollte alles ins Verhältnis gesetzt werden. Aber mal abgesehen von genereller Motivation gibt es einen Moment, in dem man sich vornehmen kann, wirklich das Bestmögliche zu versuchen. Und zwar genau dann, wenn man sich in einem Wettkampf befindet. Das nehme ich mir jetzt vor. Unabhängig von allen anderen Faktoren. Wenn die Entscheidung steht, bei einem Spiel aus innerer Überzeugung anzutreten, dann tut man sich in diesem Moment den größten Gefallen, wenn man einfach versucht, sein Bestes zu geben. So wie Rafa. Am allerbesten mit Spielfreude. Denn mehr als ein Spiel sollte es unterm Strich nicht sein - auch für ihn nicht: „It’s only a tennis match. At the end, that’s life. There are much more important things to do."